Bereits heute lebt die Hälfte der Weltbevölkerung in den Städten. Bis 2025 werden es voraussichtlich sogar 60 Prozent sein. „Daher müssen Städte eine Vorreiterrolle in puncto Klimaschutz einnehmen: Sie tragen nicht nur am stärksten zum Klimawandel bei, sondern werden die Folgen auch am deutlichsten zu spüren bekommen“, erklärt Reinhold Achatz, Leiter von Corporate Research and Technologies, der zentralen Forschungsabteilung der Siemens AG. Nach einer ersten Studie zu nachhaltigen Infrastrukturlösungen für die Metropolregion London im vergangenen Jahr stellt Siemens nun die Infrastrukturanalyse für München vor. Mit seinem weltweiten größten Umweltportfolio, das mit rund 19 Milliarden Euro im Geschäftsjahr 2008 bereits ein Viertel des Gesamtumsatzes ausmacht, kann und will Siemens einen wichtigen Beitrag in der Diskussion leisten. „Verstädterung und Klimawandel sind zwei Megatrends, für die wir mit unseren Techniken wertvolle Lösungen beisteuern können“, betont Achatz.
Die Kernergebnisse im Überblick
Die Forderung der EU-Umweltminister, die globalen jährlichen Treibhausgasemissionen bis 2050 um 50 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 und damit auf durchschnittlich weniger als zwei Tonnen pro Kopf zu verringern, kann eine Großstadt wie München nicht nur erfüllen, sondern deutlich übertreffen.
Um die ehrgeizigen Ziele zu erreichen, ist keine Einschränkung des Lebensstandards erforderlich. Jedoch ist ein umfassender Paradigmenwechsel bezüglich Gebäude, Wärmeversorgung und Stromnetz und Stromerzeugung sowie Verkehr nötig.
Die größten Hebel zur Minderung der Emissionen liegen in der optimierten Wärmedämmung der Gebäude, der regenerativen und CO2-armen Energieerzeugung sowie dem effizienten Einsatz von Kraft-Wärme-Kopplung, sparsamen Elektrogeräten und Beleuchtungssystemen. Im Bereich Verkehr liegt das größte Einsparpotenzial in der Verringerung des Individualverkehrs durch die verstärkte Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und im Umstieg auf Elektrofahrzeuge für den innerstädtischen Verkehr.
Die Einsparungen im Wärmebereich führen auf Seiten der Energieversorger zu neuen Herausforderungen: Durch die optimierte Dämmung der Häuser sinkt der Wärmebedarf enorm, so dass Fernwärmenetze nur noch schwer wirtschaftlich betrieben werden können. Deshalb müssen neue Konzepte wie Niedertemperaturnetze konsequent weiterentwickelt werden.
Die Studie zeigt an Beispielen, dass sich viele Investitionen in Effizienzmaßnahmen auch wirtschaftlich rechnen. So müssten beispielsweise in München bis zur Mitte des Jahrhunderts für die Sanierung der Altbauten sowie die Errichtung von Neubauten nach dem besonders energiesparenden Passivhausstandard 13 Milliarden Euro mehr aufgebracht werden als nach der derzeit gültigen Energiesparverordnung 2007. Würde man es auf alle Münchner Bürger herunterrechnen, so wären das rund 200 Euro pro Jahr – etwa ein Drittel der jährlichen Gasrechnung. Diesen Mehr-investitionen würden aber im Jahr 2058 Energieeinsparungen zwischen 1,6 und 2,6 Milliarden Euro gegenüberstehen. Pro Kopf wären das Einsparungen zwischen 1.200 und 2.000 Euro.Wenn alle Einsparmöglichkeiten bezogen auf die elektrische Energie genutzt werden, kann der Strombedarf größtenteils aus regenerativen und CO2-armen Quellen gedeckt werden. Die anfänglichen Investitionen in effiziente, energiesparende Technik sind zwar zunächst relativ hoch, amortisieren sich jedoch in der Regel durch Energieeinsparungen.
In nur 30 Jahren könnten sich CO2-arme Stadtteile verwirklichen lassen
„Die konkrete Umsetzung der Maßnahmen liegt natürlich bei den Städten. Unser Ziel war es, aufzuzeigen, welche Handlungsoptionen zur Verfügung stehen und wie sie intelligent zu zukunftsfähigen Konzepten gebündelt werden können“, erklärt Prof. Dr. Manfred Fischedick, Vizepräsident und kommissarischer Leiter des Wuppertal-Instituts, das Vorgehen der Untersuchungen. Dazu wurden am Modell München zwei Szenarien für den Zeitraum 2008 bis 2058, bis zum 900. Geburtstag der Stadt, untersucht: Ein optimistischeres Ziel-Szenario sowie ein vor allem in Bezug auf das Verhalten der Bürger konservativeres Brücken-Szenario. Im Ziel-Szenario lassen sich die Emissionen um rund 90 Prozent auf 750 Kilogramm pro Einwohner und Jahr reduzieren. Im Brücken-Szenario befindet sich die Stadt München noch auf dem Weg zur weitgehenden CO2-freien Metropole. Die Kohlendioxidemissionen lassen sich aber dennoch um 80 Prozent auf 1,3 Tonnen pro Kopf reduzieren – liegen also auch in diesem Fall weit unter der durch die EU-Umweltminister geforderten zwei Tonnen pro Kopf. In einem zweiten Schritt spielt die Studie anhand eines Musterstadtteils exemplarisch durch, wie die identifizierten Hebel dazu beitragen können, München in eine fast CO2-freie Metropole umzuwandeln. Der Blick auf die Musterstadtteil-Analyse zeigt: Theoretisch könnten bereits über einen Zeitraum von nur 30 Jahren einzelne, sehr CO2-arme Stadtteile realisiert werden.
Politik muss die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen
Die Studie zeigt aber auch, dass die tatsächliche Wandlung einer Metropole in einen annähernd CO2-freien Ballungsraum eine große Aufgabe ist, die nur bewältigt werden kann, wenn das Ziel von allen Beteiligten mit hoher Priorität verfolgt wird. Das sind Entscheider, Verwaltungen, Energieversorger und Stadtplaner aber auch Investoren und Bürger. Das sieht auch Hep Monatzeder, Bürgermeister der Landeshauptstadt München und zuständig für den Klimaschutz, so: „Um die ambitionierten CO2-Ziele zu erreichen, müssen die Bürgerinnen und Bürger z.B. mit Hilfe von Finanzierungs- und Vergütungsstrategien sowie durch gezielte Aufklärungskampagnen unterstützt und ermutigt werden, noch konsequenter in effiziente und CO2-arme Technologien zu investieren und noch stärker umweltfreundliche Verkehrsmittel zu benutzen. Monatzeder weiter: „Eine wichtige Aufgabe der öffentlichen Hand besteht daher darin, die Vorzüge und den finanziellen Gewinn der Energieeffizienz-Technologien künftig noch transparenter zu machen und bestehende Hemmnisse zu beseitigen.“
Weitere Informationen finden Sie im Internet unter
www.siemens.com/sustainablecities