Haben Sie heute Morgen Ihre Lieblingszeitung gelesen? Gut möglich, dass das Papier dafür aus dem luzernischen Perlen stammt. Seit über 150 Jahren wird dort Papier hergestellt. Heute beschäftigt das Familienunternehmen Perlen Papier AG rund 360 Mitarbeitende. Das Firmengelände ist weitläufig, verfügt über ein 13 km langes, werkseigenes Schienennetz, zwei Wasserkraftwerke, eine Abwasserreinigungsanlage (ARA), riesige Altpapierlager, eine grosse Werkstatt und ein eigenes Prüflabor für die Qualitätskontrolle.
Der Weg vom Rohstoff Holz bis zum fertigen Papier führt durch die beiden eindrücklichen Papiermaschinen, die rund um die Uhr laufen. Die grössere der beiden, die 130 Meter lange «PM7», wiegt so viel wie der Eiffelturm und wird liebevoll «Heidi» genannt. Für das Zeitungspapier wird zum grossen Teil, durchschnittlich rund 85 %, Altpapier aufbereitet – pro Tag insgesamt bis zu 1500 Tonnen. Eine Papierfaser kann bis zu zehn Mal wiederaufbereitet werden, dann wird sie zu kurz und aus der Papiermasse ausgeschwemmt. Der Frischholzanteil – Fichte oder Tanne – wird als Rundholz und Schnitzel angeliefert und heiss gewaschen. Anschliessend gelangt das Holz in ein mächtiges Mahlwerk, den sogenannten Refiner, den ein Duft von warmem Holz umgibt. Er wird von einem fünf Meter hohen Siemens-Motor angetrieben, der mit 22 MW zu den grössten seiner Art in der Schweiz zählt. Beim Mahlen wird Wasser beigemischt, später kommen die Zusatzstoffe hinzu. Die Suspension aus Wasser und Faserstoff in einem Verhältnis von einem Teil Feststoff zu 99 Teilen Wasser gelangt anschliessend in die Papiermaschine. Diese entfernt mit Vakuum einen Teil des Wassers, bis die auf einem Sieb verbleibende Masse eine Papierbahn bildet.
Nachdem weiteres Wasser mit Walzen mechanisch ausgepresst worden ist, durchläuft das Papier über 31 dampfbeheizte Walzen – angetrieben mit Sinamics High Performance Frequenzumrichtern von Siemens. Dabei trocknet es und wird danach geglättet, dies sorgt später für bessere Druckergebnisse. Das fertige Papier wird auf riesigen Rollen, den sogenannten Tambouren, aufgewickelt. Sie können bis über 100 Tonnen schwer werden. Danach wird das Papier in die bestellte Breite geschnitten und zur Kundschaft in der Schweiz oder ganz Europa transportiert. In der Schweiz ist Perlen Papier Marktführerin, in Europa liefert sie rund 10 % aller Zeitungs- und Magazinpapiere. Die PM7 mit 30 000 PS ist seit ihrem Bau 2010 noch immer die modernste Papiermaschine Europas. Sie produziert mit einer Geschwindigkeit von 110 km/h eine fast zehn Meter breite Papierbahn, ca.1000 Tonnen pro Tag.
Nachhaltigkeit im Fokus
Die Papierherstellung ist ressourcen- und kostenintensiv. Im gesamten Werk sind 3356 Motoren in Betrieb, zu Spitzenzeiten beträgt der Stromverbrauch 74 MW und ist damit gleich hoch wie derjenige der Stadt Luzern. Allein die PM7 verbraucht bei Volllast 18 MW Strom. Drei 110-kV-Leitungen führen direkt ins Werk. Pro Minute fallen ausserdem 16 000 Liter Abwasser an, die mit den Fasern aus Altpapier oder Frischholz vermischt und wieder entzogen werden. Dieses Wasser wird direkt in der eigenen ARA wieder aufbereitet und in den von der Reuss abgezweigten Werkskanal abgegeben. «Als Grossverbraucher liegen uns die Themen Energie und Wasser besonders am Herzen», betont Sandro Malzach, Leiter Technik und Energie bei Perlen Papier. «Wir investieren regelmässig und viel, um uns in Sachen Nachhaltigkeit laufend zu verbessern und die Kreislaufwirtschaft zu fördern. Wir streben die CO2-Neutralität an.»
Ein grosser Schritt für mehr Nachhaltigkeit fand vor fast zehn Jahren statt, als in direkter Nachbarschaft die Kehrichtverbrennungsanlage Renergia Zentralschweiz erstellt wurde. Beim Verbrennungsprozess der Abfälle fällt sehr viel Abwärme an und so kann Renergia jährlich bis 320 000 MWh CO2-neutralen Prozessdampf an die Perlen Papier liefern. Mit dem Dampf werden die Walzen aufgeheizt, um die Papierbahn zu trocknen. «Früher musste diese Wärme mit Heizöl und Gas erzeugt werden, dank dem Prozessdampf sparen wir 30 Mio. m3 Erdgas jährlich ein. Unser CO2-Fussabdruck ist um 76 % geringer als der Branchendurchschnitt», zeigt Malzach auf. Durch diese und weitere Massnahmen konnte Perlen seit 2013 die CO2-Emissionen um 88 % reduzieren. Mit dem Biomassekraftwerk und zwei Flusswasserkraftwerken produziert Perlen Papier zudem jährlich Strom für 6700 Haushalte. Nicht zuletzt ist das Unternehmen in der Lage, Papier nach den strengen Vorgaben des Umweltzeichens «Blauer Engel» zu produzieren – dazu werden die Papierfasern aus 100 % Altpapier gewonnen und auf den Einsatz von optischen Aufhellern oder halogenierten Bleichmitteln verzichtet.
Ein komplexes Zusammenspiel
Mit dem von der PM7 in zwei Wochen produzierten Papier könnte man einmal den Erdball umrunden. Alles muss stimmen, damit die Herstellung des filigranen Papiers bei der hohen Produktionsgeschwindigkeit von 30 m pro Sekunde gelingt. «Ganz vermeiden lässt es sich nicht, dass das Papier ab und zu reisst. Ein paar Mal pro Tag muss unser Personal die Papierbahn wieder einfädeln», räumt Daniel Degen, Elektro-Betriebsingenieur bei Perlen, ein. Entstehen vereinzelt grössere Löcher im Papier, wird dies durch optische Sensoren erkannt und später beim Umrollen geklebt. Alles wird digital erfasst, so dass in der Druckerei ein fehlerhafter Abschnitt herausgeschnitten werden kann. Eine technische Meisterleistung ist auch der Wechsel der Tambouren, denn die Motoren werden in vollem Lauf aus- und eingekuppelt. Degen fasst es so zusammen: «Die Regelkreise unserer «Heidi» sind ähnlich komplex wie bei einem Jumbojet. Das macht meine Arbeit interessant, aber auch anspruchsvoll.» Degen war zuvor als Automatiker für die PM7 zuständig und kennt «Heidi» wie seine Westentasche.
Für das ausgeklügelte Zusammenspiel von Mechanik und Elektrotechnik vertraut Perlen Papier auf Siemens: Digital Industries hat 2010 im Auftrag des Anlagenbauers Voith Paper die PM7 auf Basis der Lösungsplattform für die Papier- und Zellstoffindustrie «Sipaper» elektrotechnisch ausgerüstet. Das Projekt umfasste die Antriebs- und Elektrotechnik, zwei Rollenschneider und die Nebenanlagen z. B. für die Energieversorgung. Besonderes Augenmerk lag dabei auf einer energieeffizienten Antriebstechnik: Die weitgehend getriebelose Ausführung und wassergekühlte High-Torque-Motoren sorgen für einen besseren Wirkungsgrad.
Ausfälle kommen selten vor
Seit 2021 ist der Customer Service von Siemens zudem verantwortlich für die Gesamtwartung des Mehrmotorenantriebs mit über 90 Sinamics-Frequenzumrichtern. In einem Vierjahresplan ist festgelegt, wann welche Wartungsarbeiten – z. B. ein Lüftertausch am Umrichter – stattfinden. «Dieser Wartungsvertrag stellt für uns eine grosse Entlastung dar» meint Degen, «Siemens kümmert sich um alles, beschafft das Material rechtzeitig und das Serviceteam steht an den wenigen Revisionstagen pro Jahr zur Stelle, um die Arbeiten durchzuführen. Und die Kosten sind im Voraus bekannt.» Die Investition in diesen Service zahlt sich aus: «Die PM7 funktioniert erfreulicherweise äusserst zuverlässig. Die Ausfälle der Siemens-Frequenzumrichter in den 14 Jahren können wir an einer Hand abzählen», so Degen.
Ist bereits die «vorausschauende Wartung» ein Thema? «Aktuell werten wir diesbezüglich nur vereinzelt Daten aus, aber solche Analysen werden in Zukunft sicherlich zunehmen und einen Mehrwert bieten», ist Degen überzeugt. Noch sind sie nicht in der PM7 verbaut, aber die jüngste Generation Sinamics-Frequenzumrichter lassen vielfältige Möglichkeiten für die Datenauswertung, -Analysen bis hin zu Künstlicher Intelligenz (KI) zu. Zusammen mit der neuen digitalen Business Plattform Xcelerator, die Tools, Datenbanken, verschiedene Services und Beratungslösungen vereint, können digitale Lösungen individuellen Anforderungen angepasst werden. Betreiber von Anlagen erhalten ein wertvolles Instrument für Effizienzsteigerung, kontinuierliche Verbesserung und Transparenz. So erreichen Unternehmen ein neues Niveau an Produktivität und Effizienz – für den Betrieb und die Instandhaltung.
110 000 Tonnen CO2 eingespart
Die benachbarte Kehrichtverbrennungsanlage Renergia Zentralschweiz AG ist das grösste Kraftwerk im Kanton Luzern und setzt seit ihrem Bau 2015 ebenfalls auf Siemens: «Mit zwei Linien verwerten wir jährlich 280 000 Tonnen Abfall zu Energie. Den gesamten Betrieb wickeln wir mit dem Prozessleitsystem PCS7 und Simatic-Steuerungen ab – von den Öfen, die den Abfall verbrennen, über die Transportsysteme, die Prozessdampf-Herstellung, die Dampfturbinen für die Stromerzeugung, die Behandlung der Rauchgase und Flugasche sowie die Wärmerückgewinnung, den Katalysator und vieles mehr», erklärt Gregor Jung, Betriebsleiter bei Renergia Zentralschweiz AG. Er und sein Team seien sehr zufrieden mit dem System: «Man merkt, dass es weit verbreitet und erprobt ist. Systembasierte Störungen kennen wir kaum.» Erfreulich sei auch das letzte Update mit der Umstellung auf virtuelle Rechner verlaufen: «Mit einem digitalen Zwilling testete unser Siemens-Partner alles vorgängig durch und so konnte das Update in wenigen Stunden erfolgen.»
Nachhaltigkeit wird auch bei Renergia grossgeschrieben – und geht in diesem Fall einher mit einem möglichst hohen energetischen Wirkungsgrad. «Bei der Abfallverbrennung entstehen über 1000 Grad Celsius heisse Rauchgase. Damit produzieren wir in einer Dampfturbine Strom, schicken Prozessdampf zur Perlen Papier hinüber und speisen die Fernwärmenetze in Zug und Luzern», erklärt Jung. Bleibt noch Restwärme übrig, wird sie turbiniert und gelangt schliesslich in den Luftkondensator. Dort wird der Abdampf der Dampfturbine kondensiert und das Kondensat zurück in den Wasser-Dampfkreislauf geleitet. Mit einer 20-MW-«Power to Heat»-Anlage sorgt Renergia auch für Stabilität im Stromnetz: Ist zu viel Strom vorhanden, wird damit Wasser erwärmt, das im Fernwärmenetz genutzt wird – dies kann mehrmals täglich für wenige Minuten geschehen.
Mit der Lieferung von Prozessdampf an die Perlen Papier AG, der Einspeisung von Wärme in vier Fernwärmenetze sowie der Produktion und Einspeisung von Strom werden 90 000 Tonnen CO2-Emissionen im Jahr vermieden, die bei der Energieerzeugung mit fossilen Brennstoffen anfallen würden. Weitere 20 000 Tonnen CO2 werden mit dem Recycling von Metallen aus den Verbrennungsrückständen gespart. Alles in allem verbessert sich so die CO2-Bilanz des Kantons Luzern um über 110 000 Tonnen im Jahr.
Zuverlässige Gebäudetechnik und umfassender Brandschutz
Eine besondere Bedeutung kommt in beiden Betrieben dem Brandschutz zu. In den verschiedenen Gebäuden auf dem Areal der Papierfabrik Perlen sind nicht weniger als 14 Brandmeldeanlagen mit über 1800 Brandmeldern installiert. Zudem sind insgesamt 12 Stickstoff- und vier CO2-Löschanlagen sowie zehn Sprinkleranlagen in Betrieb. In der riesigen Halle der PM7 vertraut das Unternehmen auf die Gebäudeautomationssysteme Desigo PX und Desigo Insight.Bei der KVA Renergia ist eine Siemens-Brandmeldeanlage des Typs Sinteso installiert. Dank der Remote-Anbindung des Systems mit seinen mehr als 430 Meldern sind im Bedarfs- oder Störungsfall schnelle Interventionen möglich, zudem ermöglicht das System hilfreiche Analyseberichte.